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Wilfried Manneke anlässlich der Verleihung des Paul-Spiegel-Preises durch den Zentralrat der Juden in Deutschland

 


Sehr verehrte Frau Spiegel, sehr geehrter Dr. Schuster, 

sehr geehrter Herr Lehrer und sehr geehrter Herr Dainow! 

 

Ganz herzlichen Dank für die Verleihung des Paul-Spiegel-Preises. Es ist das erste Mal, dass ich für mein Engagement gegen Rechtsextremismus ausgezeichnet werde. Dass dieser Preis vom „Zentralrat der Juden in Deutschland“ kommt, ist für mich eine besondere Ehre. Ich freue mich darüber, dass unser Engagement gegen Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gesehen und gewürdigt wird. 

 

Ich sage bewusst unser Engagement. Ich stehe im Kampf gegen den Rechtsextremismus ja nicht alleine da. Es sind viele, die sich mit mir engagieren. Eine große Anzahl von Mitstreiterinnen und Mitstreitern ist heute auch hier. Die meisten von ihnen kenne ich übrigens von der Straße. Wir haben schon in den neunziger Jahren gemeinsam vor dem Neonazi-Zentrum „Hetendorf 13“ protestiert und später vor dem „Landhotel Gerhus“ in Faßberg, woraus ein rechtsextremes Schulungszentrum entstehen sollte. Heute protestieren wir mehrmals im Jahr vor einem Hof in Eschede, wo sich regelmäßig Rechtsextreme zu ihren sog. Brauchtumsfeiern treffen. 

 

Bei unserer Begegnung auf der Straße ist es aber nicht geblieben. Wir haben uns organisiert. 2009 gründeten wir das „Netzwerk Südheide gegen Rechtsextremismus“ und 2010 die „Initiative ´Kirche für Demokratie – gegen Rechtsextremismus´ in der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers“, kurz IKDR genannt. Wir haben erkannt: Nur gemeinsam sind wir stark. Deshalb sind wir auch eine breit aufgestellte Allianz von Einzelpersonen, Organisationen und Initiativen aus Kirche und Gesellschaft. 

 

Ich muss dabei unwillkürlich an die Besetzung des Landhotels Gerhus in Faßberg denken. Neonazis hatten die Schlösser aufgebohrt und das Gebäude eingenommen. Die Anwohner Anna Jander und Klaus Jordan haben sofort eine 

Mahnwache gegründet. Täglich protestierten wir vor dem Hotel. Am ersten Tag waren wir 12 Personen. Die Neonazis kamen aus dem Hotel und bauten sich vor uns auf. Gutmenschen und Ewiggestrige nannten sie uns. Am siebten Tag waren wir 350. Die Unterstützer kamen aus allen umliegenden Orten, auch Touristen waren darunter. Viele von ihnen hatten noch nie an einer Demo teilgenommen. Jetzt fühlten sie sich aber herausgefordert, mit uns Flagge zu zeigen. 

 

Mitten im Protest erreichte uns ein Mail aus Frankreich. Es war der Mut machende Gruß unserer Landesbischöfin. Sie war gerade mit ihrer Familie dort im Urlaub. 

 

Liebe Frau Käßmann, 

Ihre Mail habe ich heute noch. Einen Satz daraus möchte zitieren: „Ich bin froh, wenn unsere Kirche in Sachen Neonazis klar Stellung bezieht.“ Die Teilnehmer unserer Mahnwache haben tüchtig applaudiert, als sie Ihre Worte hörten. Wenn es um Rassismus, Antisemitismus oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sind Sie schonungslos offen. Das stellen Sie immer wieder unter Beweis, auch heute. Vielen Dank für Ihre klaren und deutlichen Worte, auch für Ihre persönlichen Worte. Herzlichen Dank. 

 

Die größte Demo gegen Rechts, an der ich je teilgenommen habe, fand hier in Hannover statt. Im Januar 2015 wollte Hagida, ein Ableger von Pegida, gegen die angebliche Islamisierung des Abendlandes protestieren. Dazu waren 200 Teilnehmer gekommen. Vorgesehen war ein Protestmarsch vom Steintor zur Oper. Dazu kam es aber nicht. Es waren nämlich auch 17.000 Gegendemonstranten in die Innenstadt gekommen. Die Straßen waren so voll, dass sich kaum noch jemand frei bewegen konnte. Hagida saß fest und musste den Protest abbrechen. 

 

Auf einem Plakat habe ich gelesen: Hannover ist vielfältig, bunt und weltoffen. Das stimmt, dachte ich. Selbst der Expowal, in dem wir uns hier befinden, ist ein Symbol dafür. Er erinnert uns an die Weltausstellung vor 18 Jahren. Ich freue mich, dass auch Sie, sehr geehrter Herr Bürgermeister Herrmann, gekommen sind. Es ehrt mich sehr. Herzlichen Dank für Ihre Worte. 

 

Aufmärsche von Rechtsextremen gibt es in vielen Städten Niedersachsens, aber nirgendwo so häufig wie in Bad Nenndorf. Zehn Jahre lang traten dort, immer am ersten Augustwochenende, um die 1000 Neonazis auf. Ihr Ziel war das "Wincklerbad", in dem sich von 1945 bis 1947 ein Verhörzentrum der britischen Armee für Nazis befunden hat. 

 

Es gibt auch keine Stadt in Niedersachen, die sich so phantasievoll und kreativ gegen Neonazi-Aufmärsche gewehrt hat wie Bad Nenndorf. Mit bunten Partys entlang der Route hat haben die Bad Nenndorer den Rechtsextremen so richtig den Spaß verdorben. Kein Wunder, dass die ungebetenen Gäste sich schon seit zwei Jahren nicht mehr in der Stadt haben sehen lassen. 

 

Der Motor des Bündnisses in Bad Nenndorf ist der Apotheker Jürgen Uebel. Er hat vor einem Monat für sein Engagement aus den Händen des Bundespräsidenten das Bundeverdienstkreuz erhalten. 

 

Lieber Jürgen, 

Du und Deine Mitstreiterinnen und Mitstreiter habt diese Auszeichnung hoch verdient. Ihr habt unsere vollste Anerkennung. Herzlichen Glückwunsch! 

 

Auch an anderen Orten in Niedersachsen sind rechtsextreme Aktivitäten zu beobachten. Als Christen können wir da nicht tatenlos zusehen. Aus diesem Grund haben wir 2010 die „Initiative ´Kirche für Demokratie - gegen Rechtsextremismus´ in der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers“ (IKDR) gegründet. Tag und Ort der Gründung waren nicht zufällig. Die Gründung fand am Tag der Menschenrechte statt, nämlich am 10. Dezember 2010. Der Gründungsort war Bad Nenndorf. 

 

Die IKDR will mit ihrer Arbeit rechtsextreme und menschenfeindliche Haltungen innerhalb und außerhalb unserer Landeskirche benennen und ihnen konstruktiv entgegen treten. Impulsgeber war Oberkirchenrat Klaus Burckhardt, damals noch Friedenbeauftragter unserer Landeskirche. Auch er ist heute unter uns. Klaus Burckhardt und ich kennen uns schon seit dem Studium. Wir haben sogar zusammen Hebräisch gelernt. 

Die IKDR wird von einem Sprecherinnenrat geleitet, heute nach außen vertreten durch Superintendentin Antje Marklein und mir, und den Geschäftsführern Pastor Jürgen Schnare und Pastor Lutz Krügener. Der zuständige Dezernent für die IKDR ist Oberlandeskirchenrat Rainer Kiefer. Wir sind ein starkes Team. 

 

Wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, ist schnell Anfeindungen ausgesetzt. Ich selber habe es oft genug erlebt. Dabei hat sich die Situation einige Male so zugespitzt, dass die Landeskirche mir einen Anwalt zur Seite gestellt hat. Unbekannte hatten unter meinem Namen Twitterkonten mit rechtsradikalem Inhalt eingerichtet. Wiederholt erhielt ich nachts ungebetenen Besuch. Sogar ein Brandanschlag wurde auf unser Haus verübt. Irgendwann wurde auch die Hetze im Internet zu heftig. In allen genannten Fällen wurde Rechtsanwalt Helmut Trentmann für mich tätig. Im Fall der rechtsextremen Internetseite „Altermedia“ hat er die Sache sogar so forciert, dass die Akte schließlich auf dem Schreibtisch des Generalbundesanwalts in Karlsruhe landete. Von da an ging alles sehr schnell. „Altermedia“ wurde durch den Bundesinnenminister verboten. Es wurden Hausdurchsuchungen in vier Bundesländern durchgeführt. Zwei der Betreiber wurden verhaftet. Im Februar dieses Jahres ist der Hauptverantwortliche zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. 

 

Lieber Herr Trentmann, 

ich möchte Ihnen für Ihren Einsatz ganz, ganz herzlich danken. Sie haben sich so intensiv eingebracht, dass ich Ihnen den höchsten „Titel“ verleihen möchte, den Initiativen gegen Rechtsextremismus verleihen können. Der Titel lautet: „Er ist einer von uns.“ Nochmals herzlichen Dank. 

 

Mein größter Dank aber gilt der Familie, meiner Frau Sabine und den Söhnen Miklas, Franchot, Felix und Benedikt. Die Anfeindungen gegen mich sind ja gerade in der Familie nicht unbemerkt geblieben. Besonders die beiden Jüngeren, Felix und Benedikt, haben viel mitbekommen. Die beiden Älteren, Miklas und Franchot, leben in Johannesburg. Wenn sie zu Besuch da waren, bekamen auch sie hautnah mit, was los war. Sie sind extra für die heutige Preisverleihung angereist, um solidarisch an der Seite ihrer Familie zu stehen. 

Der Paul-Spiegel-Preis ist mit 5.000 Euro dotiert. Meine Frau und ich haben uns entschieden, das Geld zu spenden. Ein Drittel erhält die Arbeitsgemeinschaft Bergen-Belsen e.V. Die AG Bergen-Belsen unterstützt die Arbeit der Gedenkstätte. Ein Drittel erhält das „Netzwerk Südheide gegen Rechtsextremismus“ und ein Drittel die „Initiative ´Kirche für Demokratie – gegen Rechtsextremismus´ in der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers. 

Meine sehr verehrten Damen und Herren! 

Wir stellen uns einer Bewegung in den Weg, die keinen Hehl aus ihrer Begeisterung für den Nationalsozialismus macht. Deshalb wollen wir den heutigen Nazis weder bei uns in der Südheide noch sonst wo Raum lassen. 

 

Die Nazis haben über sechs Millionen Menschen in Konzentrationslagern ermordet. Sie haben Europa und die Welt mit einem Krieg überzogen, der Millionen Menschen das Leben kostete – auf den Schlachtfeldern, in Luftschutzbunker und in den Gefängnissen der Gestapo. Unser Land trägt noch heute die Narben der Nazi-Diktatur und ihrer unbeschreiblichen Verbrechen. Es gibt kaum eine Familie hier in Hannover oder sonst wo in Deutschland, die keine Opfer aus dieser Zeit zu beklagen hat. 

 

Obwohl die heutigen Nazis die furchtbare NS-Geschichte kennen, machen Sie kein Geheimnis aus ihrer Begeisterung für den Nationalsozialismus. Sie organisieren Aufmärsche in unseren Städten, wie in Bad Nenndorf oder vor kurzem in Goslar. Sie haben Menschen verprügelt, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben. Sie haben Menschen aus fahrenden Zügen geworfen und Obdachlose umgebracht. 

 

Seit der Wiedervereinigung 1990 wurden nach Angaben der Amadeu Antonio Stiftung in Deutschland 193 Menschen von Rechtsextremen umgebracht. Die Opfer waren hauptsächlich Migranten, Obdachlose und Linke. Sie wurden von Schlägern der extremen Rechten zu Tode geprügelt, erschlagen oder verbrannt. Das NSU-Trio hat zehn Menschen regelrecht hingerichtet. 

 

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren! 

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter! 

 

Rechtsextreme treten mit Füßen, was für uns einen hohen Wert hat: Die Unverletzbarkeit der Menschenwürde, die Garantie der Menschenrechte, die Gleichberechtigung aller Menschen, ihre Gleichstellung und Gleichbehandlung. 

 

Obwohl die heutigen Nazis die grauenvolle Geschichte des Dritten Reiches kennen, halten sie dennoch an den menschenverachtenden Werten des Nationalsozialismus fest und machen sie publik. Ein wichtiges Sprachrohr ist dabei die Musik. Gerade weil Musik eine starke emotionale Wirkung hat, nutzen Neonazis Musik, besonders um junge Leute anzusprechen. Die Namen ihrer Bands sind bereits Programm. Sie heißen: Blitzkrieg, Gestapo, Kraftschlag, Stahlgewitter, Nordfront oder Landser. Die Lieder dieser Bands sind kriegsverherrlichend, menschenverachtend und hasserfüllt. Ihre Texte sind fremdenfeindlich, rassistisch und antisemitisch. Sie haben einen überaus deutlichen Bezug zum Nationalsozialismus. Eine rechtsextreme Musikgruppe nennt sich sogar „Zyklon B“. Die ist aber verboten worden. Weil Musik so verführerisch ist, verteilen Neonazis sogar kostenlos Musik-CDs auf Schulhöfen. Auch in Celle ist es an drei Schulen passiert. Das hat die Evangelische Jugend im Sprengel Lüneburg veranlasst, ebenfalls Musik-CDs zu produzieren und kostenlos an Jugendliche zu verteilen. Ihre neueste CD trägt den Titel: Fremde werden Freunde. 

Neonazis treten gerne als Kümmerer auf. So sammeln sie die Entmutigten und Perspektivlosen. Sie versprechen ihnen Arbeitsplätze und eine schützende Gemeinschaft. Und sie haben damit Erfolg, besonders dort, wo Jugendliche um ihren Arbeitsplatz bangen oder für Mindestlöhne schuften müssen. Ihnen versprechen die heutigen Nazis einfache Lösungen. 

 

Die Rechtsextremen gewinnen, wenn wir ihnen tatenlos zusehen. Sie gewinnen, wenn wir uns nur empört abwenden, statt ihnen entgegenzutreten. 

 

"Nächstenliebe verlangt Klarheit!" Unter diesem Motto wendet sich die Evangelische Kirche gegen Rechtsextremismus. Nächstenliebe verlangt 

Klarheit. Sie verlangt, dass wir klar hinsehen, klar reden und klar handeln. Wir können uns eben nicht vornehm heraushalten, wo wir rechtsextreme Meinungen hören. Wir müssen Stellung beziehen. 

 

Deshalb können wir weder Ausländerfeindlichkeit tolerieren noch die Meinung, dass nur das Starke gut sei. Deshalb widerspricht Rechtsextremismus auch fundamental unseren ethischen Grundsätzen und Maßstäben. Als Christ muss ich sogar ganz deutlich sagen: "Rechtsextremismus und christlicher Glaube sind unvereinbar.“ 

 

Ich schließe mit Worten von Pastor Martin Niemöller. Er war Theologe und ein führender Vertreter der Bekennenden Kirche. Wegen seines Widerstandes gegen den Nationalsozialismus haben die Nazis ihn 1937 verhaftet und ins Konzentrationslager Sachsenhausen gesteckt. Dort wurde er bis Kriegsende 1945 festgehalten. Nach seiner Befreiung schrieb er: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie die Sozialisten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialist. Als sie die Juden einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.

Quelle: https://www.zentralratderjuden.de/aktuelle-meldung/artikel/news/fotos-zur-preisverleihung-3/

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